Wie viele andere auch hat mich die Debatte um die Silvesternacht in Köln in den letzten Tagen sehr beschäftigt. Da ich die Debatte um die Verhältnismäßigkeit von Polizeieinsätzen im allgemeinen und um die Methode des Racial Profiling im speziellen sehr relevant, die bisherige Debatte aber unbefriedigend finde, wollte ich eigentlich selbst etwas zur Problematik schreiben. Weil ich dazu aber gerade nicht komme, folgen hier wenigstens einige Gedanken und Links zu Texten, die ich lesenswert finde.
Zunächst zu den Abläufen vor Ort: Ich habe nach allem, was ich gelesen habe, keinen Zweifel daran, dass die Kölner Polizei in der Silvesternacht (auch) Racial Profiling betrieben hat, also nach dem äußeren Erscheinungsbild, letztlich der Hautfarbe von Menschen entschieden hat, wer als potenzielle_r Straftäter_in kontrolliert werden sollte und wer nicht. Diese Einschätzung speist sich vor allem aus den Schilderungen von Reporter_innen, die die Nacht über vor Ort waren. Sebastian Weiermann hat seine Beobachtungen im Neuen Deutschland beschrieben, Christoph Hewartz hat die Abläufe ganz ähnlich bei ntv geschildert. Der Sender detektor.fm hat den Sebastian Weiermann auch zur Silvesternacht interviewt, nachhören kann man das Gespräch hier. Dass man vor allem „Menschen eines bestimmten Phänotyps“ (nämlich „Nafris“) im Blick gehabt habe, hat die Polizei übrigens auch selbst eingeräumt.
Bei der Bewertung dieses allemal fragwürdigen Einsatzes hat mich einigermaßen erstaunt, wie sehr in Politik und Medien versucht wurde, jegliche Kritik als abwegig zu diskreditieren. Schließlich, so musste ich lesen, habe die Polizei nach den massenhaften sexualisierten Gewalttaten aus dem vergangenen Jahr ja „Alles richtig gemacht“ (Bild), und wer etwas anderes behaupte, sei doch völlig weltfremd (SpOn). Über diesen fragwürdigen Versuch eines Meinungsmonopols inklusive Kritikverbot hat Stefan Niggemeier einen sehr lesenswerten Text geschrieben. Meiner Meinung nach zeigt der Diskurs der letzten Tage auch wieder einmal, dass eine zentrale Erkenntnis in der deutschen Öffentlichkeit einfach viel zu wenig bekannt ist: Kritik an der Staatsmacht und Kritik an der Polizei ist eine demokratische Basisdisziplin. Die Verwaltung des staatlichen Gewaltmonopols ist eine schwere und verantwortungsvolle Aufgabe, und die Bürger_innen und besonders Journalist_innen haben die Aufgabe, als Beobachter_innen zu überprüfen, ob dieser Job in Einklang mit rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen gemacht wird. Ich habe vor zwei Jahren zu diesem Thema mal ein Interview mit dem Philosophen Daniel Loick geführt, dass ich immer noch für lesenswert halte.
Den meiner Meinung nach besten Kommentar zur gesamten Debatte hat Christian Bangel bei Zeit Online geschrieben. Er erinnert zu Recht daran, dass es bei der aktuellen Diskussion nicht um Meinungen oder Wahlkampf geht, sondern „um die Hardware“ dieser Gesellschaft, konkret um das Diskriminierungsverbot aus Artikel 3 Grundgesetz. Ähnlich argumentiert auch Patrick Gensing in seinem Blogeintrag zum Thema. Ich würde gerne noch ergänzen, wie gruselig ich es gerade im beginnenden Superwahljahr 2017 finde, dass es offenbar nicht mehr für viele Menschen denkbar ist, gegen sexualisierte Gewalt, aber genauso auch gegen rassistische Kontrollen und unverhältnismäßige Polizeieinsätze zu sein.
Zum generellen Problem des Racial Profiling habe ich noch zwei gute Texte gelesen: Einer ist schon etwas älter und stammt von Mohamed Amjahid. Dieser schildert darin seine eigenen Erfahrungen mit dem problematischen Blick der Polizei. Ganz ähnliche Alltagserfahrungen beschreibt Sandhya Kambhampati bei correctiv.org. Vielleicht sollte man sich dazu generell merken: Wenn du wissen willst, ob es in Deutschland Racial Profiling gibt, frag nicht weiße Journalist_innen. Frag Betroffene.
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